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Wolff-Powęska: „Zusammen lohnt sich Europa”

Data publikacji: 29 listopada 2017 r. 14:56
Ostatnia aktualizacja: 28 czerwca 2018 r. 11:44
Wolff-Powęska: „Zusammen lohnt sich Europa”
 

– „Polen und Deutsche gemeinsam in Europa” ist ein seit vielen Jahren präsenter Slogan. Zur Verleihung des Pomerania-Nostra-Preises haben Sie an der Universität Greifswald einen Vortrag gehalten unter dem Titel „Polen und Deutsche gemeinsam in Europa?”. Warum das Fragezeichen?

– Unsere Partnerschaft und Zusammenarbeit mit Deutschland im Rahmen der Europäischen Union schien seit 1990 selbstverständlich, aber auch nach 2004, als die enthusiastische Phase schon vorbei war. Für mich ist das nach wie vor so, doch zurzeit kommen erstmals Zweifel auf. Denn unsere EU-Mitgliedschaft, die wir über Jahre hinweg als Errungenschaft, als Reichtum und große Chance betrachtet haben, wird heute in den polnischen Medien als Bedrohung für Polen dargestellt.

– Und in Deutschland?

– Nach 1990 hatten wir befürchtet, dass die Deutschen sich nach der Wiedervereinigung auf innere Probleme konzentrieren und von Europa abwenden würden. Aber heute sind sie mehr denn je an einer immer engeren Integration interessiert. Die polnische und die deutsche Vision der Teilhabe an der EU gehen aneinander vorbei, wir haben unterschiedliche Ansichten. Stehen wir also weiterhin zusammen?

– Wir als Staaten?

– Als Staaten, nicht als Gesellschaften. Wir haben unterschiedliche Ansichten zu fundamentalen Problemen, die Europa herausfordern. Vor allem geht es um die Flüchtlingskrise, die Eurozone, Klima- und Energiefragen – das sind grundlegende Dinge, die auch unsere Sicherheit betreffen. Aber vielleicht sind nicht die jeweils eigenen Interessen so problematisch, denn schließlich hat jeder Staat seine eigenen Interessen, sondern dass sich unsere Regierung in ihrer Haltung zu europäischen Angelegenheiten so sehr versteift. Inmitten von 28 EU-Mitgliedsstaaten erreichen wir am Ende nichts ohne die Hand zu reichen, ohne Kompromisse.

– Jeden Tag hören wir von Radikalisierung auf der ganzen Welt, von Versteifung.

– In vielen Ländern haben wir es zunehmend mit irrationalen Tendenzen zu tun. Gerade durch das Erstarken von Populismus und Rechtsradikalismus sind Zusammenarbeit und Zusammenstehen in Europa heute nötiger denn je. Das Fragezeichen in meinem Vortrag rührt aus einer Unruhe und ist ein Signal, dass wir auf beiden Seiten der Grenze Lösungen suchen müssen, um diese Tendenzen abzuschütteln.

– Wo sollen wir suchen?

– Wenn es nach mir ginge… Mir scheint Bildung immer der Schlüssel zu sein. Doch vorher noch etwas anderes. Ich sehe das Problem auf zwei Ebenen: auf der Ebene von Regierung und auf der Ebene von Gesellschaft. Das, was wir in mehr als 20 Jahren deutsch-polnischer und europäischer Zusammenarbeit gelernt haben, kam aus Graswurzelinitiativen. Journalisten, Lehrer, lokale Eliten und Lokalpatrioten schufen die Verbindungen. Deswegen arbeiten heute verschiedenste Branchen und Kreise zusammen, und am meisten profitieren davon junge Menschen. Die EU-Mitgliedschaft gab ihnen Chancen, die vorher keine Generation von Polen hatte. Ich glaube, dass künftig sie die Fürsprecher der Verständigung sein werden und unser „Gemeinsam in Europa” verteidigen, auch wenn sie das vielleicht jetzt noch nicht wissen.

– Graswurzelinitiativen konnten sich entwickeln, weil die Regierungen 1990 die Wende hin zu Frieden und Versöhnung vollzogen – dem, was am kostbarsten ist.

– Heute denkt die Gesellschaft über vieles fortschrittlicher als die Machthaber, die – so würde ich das bezeichnen – eine Destruktion des Dialogs herbeigeführt haben. Für mich stellt sich die entscheidende Frage, ob die Abkühlung der offiziellen Beziehungen sich auch auf die Gesellschaften beiderseits der Grenze auswirken wird. Beruhigend sind die Ergebnisse der Umfragen des Warschauer Instituts für Öffentliche Angelegenheiten, die zeigen, dass die polnische Gesellschaft doch eher recht immun gegen die antideutsche Rhetorik zu sein scheint. Die Überzeugung, dass die Deutschen ein vertrauensvoller Partner sind, hält sich bei 60 Prozent der Befragten. Allerdings steigt die Zahl der Personen, die weder dafür noch dagegen sind, was nur von fehlendem Interesse zeugen kann. Das ist beunruhigend. Düster sind die Ergebnisse, die Beziehung der Polen zur Europäischen Union betreffen. Ende 2016 hat das Team von Piotr Buras vom Zentrum für Internationale Beziehungen einen Bericht veröffentlicht, der zeigt wie sehr wir uns in kulturellen, Mentalitäts- und Identitätsfragen und in Fragen des Ehrgefühls von den Deutschen unterscheiden.

– Es ist doch nicht bedrohlich, dass wir in diesen Fragen unterschiedliche Vorstellungen haben.

– Das stimmt, aber daraus muss folgen, dass in Zeiten offener Grenzen Begegnungen und Gespräche zwischen Menschen, Bildung und regionale grenzübergreifende Zusammenarbeit unabdingbar sind. Wir müssen uns die Unterschiede bewusst machen und erklären, damit sich Unwissen nicht in Stereotype, und schließlich in Spannungen wandelt. Nur durch Austausch und Zusammenarbeit können wir uns wirklich kennenlernen.

– Sie sagten, Bildung sei der Schlüssel, um das Fragezeichen streichen zu können.

– In Polen nehmen ich an vielen Podiumsdiskussionen und Konferenzen teil, die sich um deutsch-polnische und europäische Angelegenheiten drehen. Aber da kommen die Überzeugten hin, die man nicht mehr überzeugen muss. Sie bilden einen geschlossenen Kreis, denn bei uns diskutiert man heute in geschlossenen Kreisen und die verschiedenen Kreise durchdringen sich nicht. Wir lesen verschiedene Zeitungen, unterschiedliche Literatur, sogar unterschiedliche wissenschaftliche Texte. Wir leben in getrennten Welten. Und das ist ein Problem, für das ich kein Rezept habe. Wie kann man das überwinden? Wie kann man mit Bildungsangeboten herausgehen aus den geschlossenen Kreisen? Mit der deutsch-polnischen Geschichte in ihrer gesamten Vielschichtigkeit müssen wir das Bewusstsein junger Menschen erreichen, auch mit verschiedenen Aspekten unserer Position in Europa. Wenn wir das schaffen, besteht die Chance, dass wir sie umstimmen.

– Bildung ist nicht nur Schule.

– Wir haben nicht das, was in Deutschland so entwickelt ist – Weiterbildung. In Deutschland gibt es Stiftungen, Akademien – evangelische, katholische, europäische. Es gibt Institutionen zur politischen Bildung, Volkshochschulen, wo nachmittags und am Wochenende in einer Gruppe Soldaten, Lokalpolitiker, Bundestagsabgeordnete, Journalisten, Pfarrer, Pastoren in einer Gruppe mit Referenten aus der ganzen Welt zusammentreffen und die neuralgischsten Punkte besprechen. Eine solche Gelegenheit zum Gedankenaustausch ist bildend. Bei uns gibt es nicht viele solcher Institutionen. Wir haben auch keine Stipendien für junge Deutsche, damit sie Polen kennenlernen und über unser Land schreiben können. Wir sollten sie einladen.

– In der Bildung über deutsch-polnische Themen, wie die Versöhnung spielen jene eine große Rolle, die den Krieg überlebt haben und von ihm versehrt wurden.

– Das waren die, die Versöhnung damals fernab der Politik initiiert haben, was in Europa eine Sensation war. Das ging bei uns von den säkular-katholischen Eliten schon in den 60er Jahren aus. Aber nach 1990 gelang der Durchbruch mithilfe jener – ich nenne sie „Menschen mit einer Häftlingsnummer” – also die, die am meisten zu Verzeihen hatten. Das waren Lehrer wie Bartoszewski und Mazowiecki. In Deutschland leiteten den Prozess Leute wie Helmut Schmidt und Richard von Weizäcker ein, die während des Krieges an der Ostfront waren. Menschen beider Seiten, mit unterschiedlichen Erfahrungen des Krieges, in seiner ganzen Tragik, konnten sich verständigen. Beim Zweiten Weltkrieg, sagten sie, werde es keinen Schlussstrich geben. Sie wussten, dass es ihre Pflicht ist, an den Krieg, an die Täter und an die Opfer zu erinnern. Jedoch nicht um zu entzweien, sondern als Memento für künftige Generationen. So ist die Deutung des Verzeihens, das zurückschaut, um Hass und Rache zu beenden. Die Versöhnung schaut nach vorn, für die künftigen Generationen.

– Diese Lehrer gibt es nicht mehr.

– Sie hinterließen ein Testament. Für mich ist Jan Józef Lipski ein großartiges Beispiel. In den 70er Jahren schrieb er, dass wenn wir einen Deutschen treffen, dann solle jeder erst einmal sein Gewissen erforschen, in sich blicken, erst dann möge er anfangen zu reden. So sah das auch der Erzbischof Bolesław Kominek, der noch vor dem Brief der polnischen Bischöfe an die deutschen, den Polen schrieb: Erst müsse man selbst sein Gewissen erforschen und dann die Gewissenserforschung von der anderen Seite fordern. Die Welt erkannte das damals an als Beweis von Mut und politischer Klugheit, jetzt wird es abgewertet. Gelingt es, das wieder herzustellen? Wenn es weder Zeugen des Zweiten Weltkriegs gibt, noch Zeugen des Versöhnungsprozesses, wie schaffen wir es dann, junge Leute zu erreichen. Bei einer solchen Zahl an sozialen Medien mit rechtsradikalen Inhalten wird das wahnsinnig schwer.

– Gerade, wo wir wieder Fans von Krieg haben.

– Fans von Schlachtinszenierungen wollen, so sagen sie selbst, Adrenalin, Ersatzgefühle.

– Wir sind in Stettin, gleich an der Grenze. Jeden Tag kommen viele Deutsche her, um Dinge zu erledigen. Auf der anderen Seite der Grenze leben viele Polen. In ihrem und unserem Interesse, im Interesse dieser Region ist es, etwas mit dem Fragezeichen zu tun.

– Kommen wir auf den Anfang unseres Gesprächs zurück. Heute, wo wir an der Spitze der Regierung wieder eine Regression in polnisch-deutscher Hinsicht beobachten, ist wieder die Aktivität der Bürger das Wichtigste. Die Gesellschaften müssen sich begegnen. Im Vergleich zu 1990 ist das heute bedeutend einfacher, denn es existieren hunderte Initiativen. In Wissenschaft und Kultur, von der Wirtschaft ganz zu schweigen, gibt es eigentlich keine Grenzen mehr zwischen Polen und Deutschland.

– Bildung, Begegnung, Diskussionen, direkte Kontakte.

– Es gibt zu wenige deutsch-polnische Journalistenprojekte. Früher gab es davon viel und heraus kamen Publikationen. Notwendig wäre eine zivilgesellschaftliche Mobilisierung, wenn auch nicht so eine wie 1990 als in den deutsch-polnischen Beziehungen eine romantische Atmosphäre dominierte. Heute sehe ich, anders als damals, weder in Polen, noch in Deutschland Politiker, für die die Überwindung von Schwierigkeiten in den beiderseitigen Beziehungen Priorität hätte. Von der deutsch-polnischen Parlamentarier-Kommission höre ich überhaupt nichts. Es existieren Gremien und Institutionen, aber die sind nicht mehr aktiv. Am meisten gibt es in der Kultur zu tun.

– Einst war Markus Meckel sehr aktiv.

– Aber es gibt keine jüngeren Politiker, die sich engagieren würden, Kontakte beleben und Menschen erklären würden, dass die Gemeinsamkeit von Polen und Deutschen in Europa das Fundament für unsere Sicherheit ist.

– In der Grenzregion gibt es täglich eine Unzahl von Kontakten. Aber was kann man tun, damit diese Information ein breiteres Forum in beiden Ländern erreicht?

– Das bräuchten wir. Die Information von hier ist sehr wichtig, denn letztendlich verlief hier, wo wir nun miteinander reden, die Grenze zwischen Ost und West. Eine Wiederholung der Geschichte wollen wir wohl kaum.

– Danke für das Gespräch.

Interview: Bogdan TWARDOCHLEB

Aus dem Polnischen von Nancy Waldmann

Anna Wolff-Powęska, Historikerin und Politologin, Professorin für Politische Wissenschaft. In den Jahren 1990-2004 leitete sie das West-Institut in Posen, gleichzeitig lehrte sie und forschte an der Fakultät für Politikwissenschaft und Journalismus an der Adam-Mickiewicz-Universität, aktuell lehrt sie an der Universität für Sozial- und Geisteswissenschaften in Warschau. Ihre Forschungsfelder: die deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert, die deutsch-polnischen Beziehungen, die politische Kultur in Mittel- und Osteuropa, die politische Philosophie. Vorsitzende des Wissenschaftsrats am Zentrum für Historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Berlin.

2004 wurde sie mit dem Komturkreuz des Ordens Polonia Restituta ausgezeichnet, 2016 erhielt sie den Preis der Europa-Universität Viadrina. In seiner Laudatio wies Heinrich Olschowsky darauf hin, dass sie „stets gegen eine nationalistisch verengte Betrachtung der Geschichte gestritten habe”.

Die Jury des Preises Pomerania Nostra verweist in ihrer Begründung für die Vergabe des Preises an Prof. Dr. Anna Wolff-Powęska auch auf ihre Veröffentlichungen zu den deutsch-polnischen Beziehungen und die hohes Ansehen unter deutschen und polnischen Historikern und Publizisten. Viele Beiträge anderer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wären ohne ihre Arbeiten zu Deutschland und den deutsch-polnischen Beziehungen kaum vorstellbar.

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