Der Schriftsteller, Kulturkritiker, Honorarprofessor der Universität der Künste, Leiter einer Theaterschule und ein großer Freigeist der 68er Bewegung Olav Münzberg ist 80 Jahre geworden.
Nach seinem Jurastudium stand ihm die Laufbahn als Richter oder Anwalt offen, doch er verzichtete darauf und prägte stattdessen als Künstler, Denker und Aktivist die Kulturlandschaft Westberlins und des wiedervereinten Berlin. Am Samstag, den 17.11. fand im deutsch-polnischen „Teatr Studio am Salzufer – Tadeusz Różewicz-Bühne Berlin” eine öffentliche Geburtstagsfeier statt. Münzberg leitet das Theater seit 14 Jahren mit seiner Lebensgefährtin Janina Szarek.
Die Veranstaltung war von Münzbergs Lyrik geprägt, die von Studierenden der zum Theater gehörenden Schauspielschule vorgetragen wurde. Die Schauspielschule, die inzwischen erfolgreiche Absolventen unterschiedlicher Herkunft vorweisen kann, wurde von Szarek und Münzberg in den 90er Jahren gegründet. Hier wird echte Integration praktiziert, werden polnische und deutsche Theatertraditionen miteinander produktiv in Beziehung gesetzt. Im Vordergrund der Feier standen Münzbergs Berliner Gedichte aus dem Band „Moränen” (2001), die eine persönliche Topographie der Stadt um die Wendezeit herum entwerfen, darunter das Poem über Rudi Duschke.
Berlin ist das Hauptthema des vielfältigen essayistischen, kritischen und lyrischen Werkes von Münzberg. 1962, ein Jahr nach dem Mauerbau, kam er in die Stadt. Hier beendete er sein in Würzburg und München begonnenes Jurastudium, studierte dann noch Religionswissenschaft, Philosophie und Germanistik und promovierte 1972 beim legendären Klaus Heinrich im Fach Ästhetik.
Münzberg war ein 68er-Rebell, einer, der Autoritäten in Frage stellte und sich mit der Verstrickung der Väter-Generation in den Nationalsozialismus auseinandersetzte. Sein Studienfreund Friedrich Stentzler erzählte als Redner von dieser Zeit, unter anderem vom sozialistischen Straßentheater, das Münzberg mitgestaltete und damit linke Politik auf die Straße brachte.
Aber auch zahlreiche Weltreisen Münzbergs waren das Thema dieses Abends, die ihre Spuren in den präsentierten Lyrik-Bändern hinterließen („Ich schließe die Tür und fange zu leben an”, „Bücherstädte”, „Im Jahre 2 des Heisei – Gefühle über eine lang zurückliegende Reise nach Japan”). Es wurde deutlich, dass Mexiko eine besondere Position in Münzbergs Werk einnimmt. Er war von der revolutionären mexikanischen Malerei fasziniert, hielt dazu Vorlesungen, organisierte Ausstellungen, brachte Bildbände heraus (Orozco, Rivera).
Geboren wurde Münzberg 1938 in Gleiwitz, heute Gliwice, in Oberschlesien als Juristensohn. Die Familie ist 1945 (mit drei Kindern) nach Unterfranken geflüchtet, wo er als sensibles Flüchtlingskind Leid und Ausgrenzung erfahren hat, aber auch Verlogenes und Tabuisiertes erspürte. Sein Bruder Dr. Uwe Münzberg erzählte als Redner von dieser schweren Zeit, die Münzberg selbst in seinem Essay „Leif – eine schlesische Kindheit in Franken” eindrücklich beschreibt.
Die Erfahrung von Flucht und Vertreibung prägte sein empathisches Verhältnis zu Osteuropa. Unermüdlich ist Münzberg darin, die Verdrängung der polnischen Geschichte in der deutschen Gesellschaft anzuprangern. Auf eine besondere Weise setzte er sich immer für die Verbesserung der deutsch-polnischen und der deutsch-deutschen Beziehungen ein, zum Beispiel als der Vorsitzende des gesamtdeutschen Schriftstellerverbandes und der Neuen Gesellschaft für Literatur.
In seinem Wirken verbindet er Politik, Kunst und Wissenschaft. Auf eine Teildisziplin ließ er sich nie festlegen, er interessierte sich für das Ganze und folgte unbeirrt seiner Leidenschaft, äußere Ehren waren zweitrangig für ihn. Nur eine kurze Zeit war er fest angestellt, danach erfüllte zahlreiche ehrenamtliche Funktionen. Er war Mitbegründer des Literaturhauses in der Fasanenstraße und des Offenen Kanals, organisierte und moderierte Kulturveranstaltungen. Ein sensibler, hoch gebildeter Mensch – zugleich aber sehr bescheiden. Erfolgstrategien interessierten ihn kaum, öffentliche Meinung ebenso wenig – ein Individalist, wie es sie heute selten gibt.
Zum Abschluss der Veranstaltung erklang Instrumentalmusik für Geige und Klavier von Gerd Münzberg, dem Vater des Jubilaten, der nicht nur Richter, sondern auch Komponist war und damit den Grundstein für das spannende Doppelleben von Olav Münzberg legte, das er bis heute praktiziert.
Brigitta HELBIG
Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin, geb. in Stettin, lebt in Berlin. Autorin unter anderem der Romane und Prosabände: „Ossis und andere Leute”, „Engel und Schweine”, „Kleine Himmel”. Professorin an der Universität Poznań (UAM), lehrt auch an der HU zu Berlin.
Olav Münzberg
Foto: Frank WECKER