Klaus Ranner, letzter Generalkonsul der Bundesrepuplik Deutschland in Stettin, erinnert sich an seine Jahre in Polen.
Sie müssen gute Polnischlehrerinnen gehabt haben. Sie sprechen die polnische Sprache ja sehr gut.
Das waren alles Lehrerinnen, darunter zwei Polinnen aus Warschau und eine Deutsche aus Breslau. Der Rest war dann „Learning by Doing” auf meinem allerersten Auslandsposten in Warschau.
Haben Ihnen Ihre Polnischkenntnisse auch auf Posten in anderen Ländern genutzt? Und wie sieht es heute damit aus?
Auf praktisch allen Auslandsposten habe ich Polen getroffen, die sich gefreut haben, sich mit einem Deutschen in ihrer Muttersprache unterhalten zu können, übrigens war darunter einmal der frühere Präsident Wałęsa in Miami, der sehr erstaunt war, dass ihn der Vertreter Deutschlands in seiner Sprache begrüßte. Und mir hat das auch viel Spaß gemacht. Mittlerweile im Ruhestand sind die Kontakte mit der polnischen Sprache etwas seltener geworden, aber man verlernt das ja nicht vollständig.
In Polen haben Sie zwei Mal gearbeitet: von 1982 bis 1986 als Beamter in der Botschaft der BRD in Warschau, und von 1996 bis 2000 als Generalkonsul des vereinten Deutschland in Stettin. Das heißt, Sie waren in zwei unterschiedlichen Polen.
„Damit Polen Polen sei” („Żeby Polska była Polską”) hat ein polnischer Sänger und Kabarettist einmal gesungen. Natürlich war das politische System in Polen während meines ersten dienstlichen Aufenthalts ganz anders als beim zweiten Mal. Aber eins stimmt auch: die Polen bleiben Polen. In den Beziehungen der beiden Länder wurden in den zehn Jahren zwischen meinen beiden Aufenthalten viele Probleme gelöst, weil beide Seiten großes Interesse daran hatten und weil auf beiden Seiten vernünftige Politiker am Werk waren.
Auf kulturellem und wirtschaftlichem Gebiet, aber nicht nur, hat sich eine intensive Zusammenarbeit entwickelt. Dafür war die Verständigung auf hoher politischer Ebene wichtig, das Engagement der Bürger auf beiden Seiten aber mindestens genauso.
Welche Kompetenzen hatte das Generalkonsulat in Stettin? Wieviele Mitarbeiter gab es?
Ein Generalkonsulat und so auch das damalige in Stettin ist ein Gemischtwarenladen. Wir haben Arbeitsvisa erteilt, deutsche Gefangene im Gefängnis betreut, Beurkundungen vorgenommen, Deutschen in Not zumindest den Weg bis zur Grenze ermöglicht, was eben ein Generalkonsulat mehr oder weniger auf der ganzen Welt macht.
Als Spezifika kamen in Stettin Dinge dazu wie die Förderung der Zusammenarbeit von Kommunen innerhalb der Euroregion Pomerania, mit der Wirtschaft, d.h. mit Unternehmen und Verbänden, die Herstellung kultureller Kontakte, die Betreuung der deutschsprachigen Minderheit usw.
Das alles war an der Grenze vielleicht leichter für uns als woanders und konnte sich auch leichter zwischen den Menschen entwickeln.
Wir waren – wenn ich mich recht erinnere – acht aus dem Auswärtigen Amt entsandte Kolleginnen und Kollegen und ebenso viele lokale Beschäftigte.
Vor der Villa des Generalkonsulats gibt es bis heute eine Überdachung des Gehwegs, der zum Eingang führt. Haben Sie sich das ausgedacht?
Die kleine, einer Bushaltestelle ähnliche Überdachung, die offenbar noch heute vor dem alten Konsulatsgebäude steht, haben wir uns alle gemeinsam ausgedacht. Wir wollten, dass die Leute, die auf ihren Gesprächstermin im Generalkonsulat warten mussten, nicht im Regen zu stehen brauchten.
Was für Beziehungen hatte das Generalkonsulat zu den Vertreter*innen der polnischen Lokal- und Regionalbehörden?
Die Beziehungen zwischen Vertretern von Behörden und offiziellen Stellen, noch dazu solchen verschiedener Länder, sind stark abhängig von den jeweils handelnden Personen. Mit der weit überwiegenden Mehrheit seiner Ansprechpartner waren die Beziehungen des Generalkonsulats sehr gut und die wenigen Personen, bei denen das nicht so war, werde ich nicht erwähnen.
Welche Angelegenheiten waren damals für Sie als Generalkonsul am wichtigsten: die Eröffnung neuer Grenzübergänge, die Entwicklung von grenzüberschreitenden Kontakten, die Eröffnung des Deutsch-Polnischen Gymnasiums in Löcknitz, das Multinationale Korps Nord-Ost, die Gedenktafel für die ehemalige Synagoge in Stettin?
Am wichtigsten war mir immer, dass die Menschen von beiden Seiten der Grenze zusammenkommen, miteinander sprechen, etwas gemeinsam unternehmen und wenn es sein muss, Probleme unter möglichst großer Berücksichtigung der jeweiligen Interessen lösen. Das gilt für alle Bereiche der Zusammenarbeit.
Das Deutsch-Polnische Gymnasium in Löcknitz wurde eine ganze Weile vor meiner Ankunft in Stettin gegründet, aber die erste gemeinsame Abiturfeier 1999 im Stettiner Schloss lag mir sehr am Herzen.
Beim Multilateralen Korps Nordost konnte das Generalkonsulat dabei helfen, dass die ausländischen Soldaten passende Wohnungen und Schulen für ihre Kinder fanden.
Die Gedenktafel für die von den Nazis zerstörte Stettiner Synagoge war mir ein persönliches Anliegen. Es war ziemlich schwierig, dafür die Genehmigung zu erhalten und ich bin nicht sicher, ob die Tafel immer noch an ihrem Platz ist, ich hoffe es.
Sie haben in vielen Ländern und Metropolen gearbeitet. Welchen Platz nehmen Ihre beruflichen Erfahrungen in Stettin ein? War diese Zeit für Sie als Diplomat eine wichtige Erfahrung oder eine Episode?
Auch wenn der eine oder andere meiner Auslandsposten auf den ersten Blick spektakulärer als Stettin erscheinen mag, so war es wahrscheinlich in Stettin, wo ich am stärksten in die örtliche Gesellschaft integriert war. Wir waren am Ende ja auch das letzte verbliebene Berufskonsulat in Stettin. Nicht zuletzt haben einige offizielle Stettiner vor der Schließung des Generalkonsulats von mir fälschlicherweise als „unserem Konsul” gesprochen und der Stadtrat hat mir hinterher die Medaille für Verdienste um die Stadt Stettin verliehen, auf die ich sehr stolz bin. So etwas ist mir auf keinem meiner anderen Auslandsposten widerfahren.
Was ist Ihnen aus den in Stettin verbrachten Jahren am meisten in Erinnerung geblieben: die Stadt, die Menschen, die Atmosphäre?
Wenn man dreieinhalb Jahre in einer Stadt lebt und arbeitet, sieht und hört man viel und lernt einiges dazu. Früher hat man gelegentlich über Stettin gehört: „Die Steine sprechen deutsch.” Aber erstens können Steine nicht reden und zweitens sprechen die Stettiner, jedenfalls die allermeisten, polnisch, sind sich aber der wechselvollen Geschichte ihrer Stadt sehr bewusst. Die Stadt und ihre Atmosphäre werden durch die dort lebenden Menschen geschaffen. Und davon haben mir die Stettiner einiges auf den weiteren Weg mitgegeben.
Sind Stettin, Westpommern und das Grenzgebiet Ihrer Meinung nach heute wichtig und inspirierend für die polnisch-deutschen Beziehungen?
Pommern hört ja nicht am westlichen Rand von Stettin auf, auch wenn die Wojewodschaft Westpommern heißt. Das wissen die Stettiner sehr gut und einige von ihnen leben mittlerweile auf der deutschen Seite. Immer wenn Polen und Deutsche Nachbarschaft nicht über eine Grenze hinweg praktizieren, auch wenn diese sehr durchlässig geworden ist, sondern unmittelbar Tür an Tür oder Zaun an Zaun, werden Vorurteile abgebaut, Freundschaften geschlossen und sie erzählen ihren jeweiligen Landsleuten davon. An Beispielen wie Frankfurt an der Oder / Słubice, Guben / Gubin, Görlitz / Zgorzelec kann man sehen, wie wichtig das unmittelbare Grenzgebiet für das gegenseitige Verständnis ist. Dabei ist Stettin aber viel größer als die erwähnten Städte und deshalb auch zusammen mit seinem deutschen und polnischen Umland noch wichtiger.
Wie bewerten Sie die heutigen polnisch-deutschen Beziehungen? Welche Zukunft erwarten Sie? Was für einen Einfluss haben sie auf das politische Klima in Europa?
Deutschland ist mit einigem Abstand der wichtigste Handelspartner Polens und auch bei ausländischen Direktinvestitionen liegt Deutschland an der Spitze mit einem Bestand von mehr als 35 Mrd. Euro. Auch im deutsch-polnischen Grenzgebiet bei Stettin bieten sich erhebliche Möglichkeiten in beide Richtungen, gerade für Mittelständler.
Die deutsch-polnischen Beziehungen sind insgesamt in die gemeinsame Mitgliedschaft in der Europäischen Union eingebettet. In diesem Rahmen sollten sich beide Seiten möglichst gemeinsam für die Werte einsetzen, für die die Europäische Union steht und die man hier nicht einzeln aufzählen muss. Wenn sich Nachbarn gut verstehen und respektieren und gemeinsam handeln, ist das ein Beispiel für andere.
Sie waren der letzte Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland in Stettin. Vor 19 Jahren wurde das Konsulat geschlossen. Hätten Sie nicht weiterarbeiten können? Hatten Sie Ihre Mission erfüllt?
Ich lege Wert darauf, dass nicht ich das Generalkonsulat geschlossen habe, sondern dass dies eine Weisung aus Berlin war. Heute, mit polnischer Mitgliedschaft in der EU und offenen Grenzen braucht man in Stettin sicher kein deutsches Berufskonsulat mehr. Ende 1999 war es für die Schließung vielleicht etwas zu früh. Es gab bekanntlich auf beiden Seiten der Grenze einige gut hörbare und prominente Stimmen, die die Schließung auch nicht so gut fanden.
Meine Vorgänger und ich und unsere Teams haben uns in Stettin, glaube ich, in etwas mehr als neun Jahren eine gute Position bei Politik, Wirtschaft, Kultur und nicht zuletzt Militär erarbeitet. Und wenn das in die Annalen der Stadt Stettin eingeht, soll mir das sehr recht sein.
Das Deutsche Generalkonsulat in Stettin befand sich in derselben Straße, in der bis zum September 1939 das Polnische Generalkonsulat tätig war. Beide Villen trennen nur ein paar Hundert Meter und ein gewaltiger historischer Bruch. Das Jahr 2019 ist für Deutschland und Polen ein Jahr großer historischer Gedenktage. Kann man sich in beiden Ländern so mit der Vergangenschaft beschäftigen, dass in der Gesellschaft beider Länder die Überzeugung wächst, dass wir uns den Herausforderungen, die die Zukunft bringt, nur gemeinsam stellen können?
Die Polen wissen sehr genau aus ihrer Geschichte, wie es ist, ausschließlich von Gegnern umzingelt zu sein. Sie können also sehr gut die historische Vergangenheit mit der heutigen Lage vergleichen. Jahrestage sind immer ein Anlass, genau und ehrlich darüber nachzudenken, was tatsächlich geschehen ist, was jetzt besser ist als früher und was in Zukunft noch besser werden kann oder muss. Natürlich müssen den aus diesen Überlegungen gezogenen Schlussfolgerungen auch die entsprechenden Handlungen folgen. Das kann man nur gemeinsam bewerkstelligen, für sich allein schafft das keiner. Das gilt für Diskussionen innerhalb eines Landes und genauso für die Beziehungen zwischen verschiedenen Ländern. Ein gutes Beispiel für eine positive Entwicklung in diesem Sinne sind die deutsch-französischen Beziehungen.
Wann waren Sie zum letzten Mal in Stettin?
Nach der Schließung des Generalkonsulats war ich noch drei- oder viermal in Stettin, das letzte Mal ist aber schon eine ganze Weile her. Es wird also wieder einmal Zeit.
Herzlichen Dank für das Gespräch und bis bald in Stettin.
Das Gespräch führte Bogdan TWARDOCHLEB
• Klaus Ranner (geb. 1952 in Augsburg), Jurist, Diplomat. Er arbeitete im Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland in Bonn und Berlin, u.a. in den Referaten Mittel- und Osteuropa, EU-Außenpolitik, Außenwirtschaftsförderung (als Leiter); in den Botschaften der Bundesrepublik Deutschland in Warschau (1982-1986), Buenos Aires (1986-1988) und Teheran (1991-1993). Er war Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland in Stettin (1996-1999), Mumbai (Bombay) (2000-2003), Miami (2007-2010), Dubai (2010-2014) und Lyon (2014-2017). Jetzt im Ruhestand.