Das Haus von Elwira Profé-Mackiewicz und Fortunat Mackiewicz-Profé im kleinen Städtchen Mieszkowice, einer früher deutschen, heute polnischen Gegend, war eines der vielen, die man selbsternanntes Konsulat nennen könnte. Ein Ort der Annäherung deutscher und polnischer Menschen.
Etwas Besonderes aber wurde es durch die gegenseitige Liebe seiner Gastgeber, die zur lokalen Legende wurden. Sie haben sich einen sicheren Platz im ungeschriebenen Buch der Geschichten über die Wandlung deutscher in polnische Landschaften verdient. So geschehen im Städtchen Bärwalde, aus dem Mieszkowice geworden ist.
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Elvira, 1925 in Bärwalde als Tochter eines Messwerkzeugfabrikanten geboren, zeigte schon früh ihre organisatorischen und pädagogischen Talente. Als dann 1936 die Nazis per Gesetz die Jugend der Hitlerjugend zuschrieb, fand sie sich im Bund deutscher Mädchen wieder.
Mit Einmarsch der Roten Armee in Bärwalde, im Februar 1945, wurde Elvira als Mitglied einer nationalsozialistischen Vereinigung verhaftet und, mit anderen gleichen Schicksals, zuerst nach Świebodzin und später in die UdSSR deportiert. In Archangelsk kam sie, hochfiebrig an Scharlach erkrankt, ins Lazarett. Als Arbeitsunfähige wurde sie noch im selben Jahr ins deutsche Frankfurt/Oder gebracht. Von dort ging sie zu Verwandten ihres Vaters nach Altreetz im Oderbruch. Hier erfuhr sie, dass ihr Vater als „unabkömmlicher Fachmann” der Vertreibung entgangen war und ihre Eltern weiterhin in Bärwalde lebten. Mit Hilfe eines polnischen Fischers gelang ihr die Bootsfahrt über die neue Grenze an der Oder in das nun polnische Gozdowice und so gelangte sie zu ihren Eltern.
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Etwa zur gleichen Zeit, im Mai 1945, erreichten Vertriebene, unter ihnen der junge Fortunat Mackiewicz und seine Eltern, aus den für Polen verlorenen Gebieten um Vilnius als Siedler die „wiedergewonnenen Gebiete” an der Oder. Als ihr Siedlerzug sein Ziel, die Stadt Kostrzyn erreichte, waren sie so entsetzt von der in Trümmern liegenden Stadt, dass sie eine Weiterfahrt forderten. So gelangten sie nach Mieszkowice und führten selbst ihre Kuh mit.
Dort kam auch die dürre Elwira Profé in das ihnen zugewiesene Haus, um Milch zu holen. Hier lernte sie den nur wenig älteren Fortunat kennen, den all nur Fortek nannten.
Mit der Zeit verliebten sie sich und beschlossen zu heiraten. Fortek begab sich im Sommer 1946 auf die Milizstation, um zu fragen, wie und wo er die Genehmigung erhalten könne, eine Deutsche zu ehelichen. Aber die Geschichte war gegen sie: Im Herbst 1947 wurden alle deutschen Fachkräfte aus Mieszkowice ausgesiedelt. Die Profés fanden sich in Deutschland wieder und das schien das Ende dieser deutsch-polnischen Liebe zu sein.
Elwira arbeitete in Deutschland in der Firma der Familie. Nach dem Tod ihres Vaters fand sie sich in Westberlin wieder, studierte Pädagogik und engagierte sich bei der Schaffung einer Modellsiedlung für Menschen mit geistiger Behinderung.
Fortek verließ Mieszkowice und gründete in den Masuren eine Familie.
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Jahrzehnte vergingen und die Welt veränderte sich. Im Herbst 1991, nach den Umbrüchen in Polen und der Vereinigung Deutschlands, beschloss Elvira Mieszkowice und die alte Fabrik ihres Vaters zu besuchen. Sie wurde gastfreundlich empfangen und nach Fortek fragend, erhielt sie sogar dessen Adresse. Vier weitere Jahre vergingen, bis sie ihm einen Brief schrieb.
Die Antwort kam umgehend. Fortek schrieb zurück, er lebe allein, seine Ehe existiere nur auf dem Papier, seine Gattin lebe seit 16 Jahren in Amerika. Elvira fuhr in die Masuren. Nach Jahrzehnten traf sie sich mit Fortek am Bahnhof in Kwidzyn. Ihre Jugendliebe erwachte von neuem.
Zwei weitere Jahre vergingen bis Elvira und Fortek beschlossen, gemeinsam wieder in Mieszkowice zu leben. Sie kauften ein Grundstück und bauten 1997 ihr Haus. Schnell wurde es zum Ort deutsch-polnischer Treffen, gemeinnütziger Initiativen und zum Treffpunkt alter, deutscher Bärwalder bei Besuchen ihrer Heimatstadt. Ein wirkliches Zentrum freier, grenzüberschreitender Zusammenarbeit.
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Elwira Profés organisatorisches Talent bewährte sich. Sie schuf eine Frauengymnastikgruppe, die bis heute existiert. Und ihre Leidenschaft für Sonderpädagogik bewies sie bei der Schaffung von Therapiewerkstätten für behinderte Menschen, oder bei Studienreisen zu ähnlichen Institutionen in Deutschland. Sie war erfolgreich bei der Suche nach Geldgebern für die Sanierung der alten Grundschule, in der die Behindertenwerkstatt bis heute arbeitet.
1999 organisierte sie erstmals ein Treffen alter und heutiger Bewohner von Bärwalde/Mieszkowice, das seitdem alljährlich stattfindet. Sie half dem örtlichen Gymnasium bei der Suche nach einer deutschen Partnerschule und vermittelte bei der Städtepartnerschaft zwischen Mieszkowice und dem deutschen Wriezen.
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58 Jahre nach ihrer Trennung heirateten Elvira und Fortunat. Ihre Hochzeit am 4.11. 2005 feierten viele Gäste aus Deutschland und Polen. Der Bräutigam war damals 84 Jahre, die Braut 80 Jahre alt. Und sie nahmen ihre doppelten Namen an: Elwira Profé-Mackiewicz und Fortunat Mackiewicz-Profé.
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Der Autor dieser Erinnerung hatte das Glück sie mehrmals zu treffen, in ihrem Haus, im Herrenhaus Dąbroszyn bei Kostrzyn, und 2006 bei der Eröffnung der Berliner Ausstellung „Erzwungene Wege: Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts”. Ihre Geschichte fand dort einen würdigen Rahmen als Antwort auf die Frage „Vertrieben – und dann?”
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Elwira Profé-Mackiewicz verstarb am 3. Juni 2019 im Alter von 94 Jahren.
An der feierlichen, ökumenischen Beisetzung, am 6. Juni in Mieszkowice, nahmen Gäste aus Deutschland und Einwohner von Mieszkowice teil.
Es gelang mir nicht mit Herrn Fortunat zu reden, aber in seinen Augen las ich eine tragische Verlorenheit und Einsamkeit.
Zbigniew CZARNUCH
Historiker, Heimatforscher, Publizist aus Witnica bei Kostrzyn
Aus dem Polnischen von Mathias ENGER