Seit der Ermordung des Stadtpräsidenten Paweł Adamowicz herrschte Stille, Einkehr, Nachdenken über das Leben des Präsidenten und die Folgen der verbrecherischen Tat. So wollten es auch seine Nächsten und so erklang das Lied „The Sound of Silence” auf dem Danziger Langen Markt (Długi Targ).
Jetzt aber geht es um das WORT, Paweł Adamowicz hat während seines Lebens nicht geschwiegen. Er wirkte mit Worten und Taten. Für seine offene Haltung und den offenen Dialog hat er den höchsten Preis bezahlt. Vor einigen Tagen schrieb mir Frau Professor Anna Wolff-Powęska: „Ich möchte daran glauben, dass sein absurder Tod zumindest zum Nachdenken darüber führt, in welche Richtung wir gehen wollen. Ist das Schweigen gegenüber der Verbreitung des Hasses nicht auch Beteiligung daran? Wir müssen sprechen, damit die Worte den ihnen angemessenen Wert bekommen!”
Meine Beziehungen zu Paweł Adamowicz prägte das weit gefasste Thema der Anwesenheit von Geschichte im öffentlichen Raum. Er hat auf diesem Gebiet große Leistungen vollbracht. Das Europäische Solidarność-Zentrum in Danzig, dessen Auftrag Basil Kerski hervorragend realisiert, hat er vorgeschlagen und war dann sein Fürsprecher. Er unterstützte und förderte das Danziger Museum des Zweiten Weltkriegs in der Form, die ihm die Mitarbeiter*innen unter Leitung von Paweł Machcewicz gaben.
Seine dritte Museums-Vision – die Schaffung eines neuen Gebäudes und einer neuen Ausstellung für das Museum der Stadt Danzig, an dessen Programmrat ich beteiligt war, konnte er nicht mehr realisieren. Es ging um ein Museum für die Danziger, um einen Ort der Identifikation mit der eigenen – schönen aber auch nicht einfachen – Geschichte. Ein Danzig-Museum für Polen und Europa, ein Museum, durch das wir über Danzig die multikulturelle Geschichte Polens und Europas hätten wiederfinden können.
Seine Vision der Metropole Danzig hätte sich in die Vision eines modernen, demokratischen, offenen, toleranten Polen eingeschrieben. Ein Polen des Dialogs, nicht der Ausgrenzung und Eliminierung des Gegners. Im Geist dieser Werte ist Paweł Adamowicz auch unser Präsident, Präsident aller Polen, die an Freiheit, Toleranz und Demokratie glauben. Polen, die wie er für diese Werte zu kämpfen in der Lage sind, dabei aber nicht gegen jemanden kämpfen wollen, die für Dialog und nicht für die Dominanz einer hegemonialen Macht eintreten.
Paweł Adamowicz war ein Mensch der Grenzregion. Zwangsmigration aus dem Wilnaer Gebiet war das Schicksal seiner Eltern, sie wurden wie Millionen anderer Polen in dramatischen Wanderungen durch unwegsame europäische Gegenden getrieben. Vielleicht hat er deshalb mit solcher Sensibilität und Hilfsbereitschaft auf die Flüchtlinge geblickt, die in den letzten Jahren massenhaft vor Tragödien und Kriegen in ihren eigenen Ländern flüchteten. In den Zwangsmigrationen erkannte er vor allem das menschliche Drama – in der kulturellen Vielfalt einen Reichtum für die Einzelnen und die Gemeinschaft.
Ich glaube, dass wir nur in der Treue zu diesen dialogischen Werten des Präsidenten Paweł Adamowicz seine Mission fortsetzen können – nicht nur für die Metropole Danzig, sondern für die politische Kultur in Polen. Das sind wir ihm und Polen schuldig, das eben jetzt Anstrengungen braucht, um den Wert dieser Worte zurückzuholen: Toleranz, Demokratie, Dialog. Lasst uns nicht vergessen, dass der Dialog nicht dazu da ist die Bedeutung der Werte zu verwischen, sondern ihnen einen Sinn zu geben. Wir unterscheiden uns, sprechen darüber, wählen die besten Werte bei Achtung der Widersacher aus.
Robert TRABA
19. Januar 2019
Professor, Historiker, Politologe, Gründer der Allensteiner Stiftung „Borussia” und der „Kulturgemeinschaft Borussia”, 2006-2018 Direktor des Zentrums für historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften.
Aus dem Polnischen von Ruth HENNING