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Data publikacji: 29 listopada 2017 r. 14:57
Ostatnia aktualizacja: 28 czerwca 2018 r. 11:44
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„Ethnische Ökonomie – eine Fallstudie über in Berlin lebende Polen” („Ekonomia etniczna – studium przypadku Polaków w Berlinie”) lautet der Titel eines Forschungsprojekts des West-Instituts in Posen und der Technische Universität Berlin. Gefördert hat es die Deutsch-Polnische Wissenschafts-Stiftung. Der Projektzeitraum erstreckte sich über ein Jahr.

Das Ergebnis ist eine Arbeit von Dorota Kot, einer in Berlin wohnenden Anthropogeographin, die die Struktur des heutigen polnischen Wirtschaftsmarktes in dieser Stadt analysiert hat. Sie hat fast hundert Interviews mit Experten und Unternehmern geführt, mit standardisierten Fragen und einer genau festgelegten Antwortzeit. Außerdem hat sie über zwanzig Interviews geführt – also allgemein gesagt – ein ungezwungenes Gespräch zum Thema der Untersuchungen.

Ihre Ergebnisse hat sie Mitte Oktober auf einem Treffen im Polnischen Sozialrats in Berlin vorgestellt. Als sie mit den Untersuchungen begann, schrieb sie, dass „die Kraft polnischer Unternehmen und Unternehmer, die in Deutschland tätig sind (…), eine große Unbekannte darstellt”. Zu welchen Ergebnissen ist sie letztendlich gekommen?

Boom, aber was für einer?

Ein Journalist des Radios Cosmo fragte sie, warum Polen heutzutage nach Berlin kommen. Sie führte zwei Gründe an: Als erstes ihre Situation im eigenen Land, und zweitens – Meinungen über die Lebensqualität in Berlin. Es sind also, in wissenschaftlicher Terminologie gesagt, „abstoßende” (push) und „anziehende” (pull) Gründe. Zu ersten gehören meistens der Verlust der Arbeit sowie ein zu niedriges Einkommen, zu zweiten die Freiheit und Ungezwungenheit, die Berlin prägen, gepaart mit der Tatsache, dass die Arbeitgeber es gewohnt sind, Polen anzustellen.

Über Berlin herrscht in Polen die allgemeine Meinung, dass es das hippe und junge Zentrum des modernen Wirtschaftsbooms ist. Man hört auch, dass es die modernen „Kosmo-Polen” seien, die dem polnischen Berlin ihren Stempel aufdrücken, Startups gründen, nur englisch reden, einen Haufen Geld verdienen, heute hier, morgen in London und ein Jahr später schon in Dubai arbeiten.

Schaut man sich das Problem vor Ort an, zeigt sich jedoch – so Dorota Kot – dass die Wirklichkeit anders aussieht und der Berliner „Boom” für viele Polen bedeutet, sich mit der „modernen Version der Ausnutzung billiger Arbeitskräfte” abzufinden. Es stimmt, dass sie in Berlin einige Tausend selbständige Firmen gegründet haben, doch sind das zum Großteil keine modernen Startups, denn davon gibt es gerade einmal 10, sondern hauptsächlich Dienstleistungsfirmen. Ähnlich wie im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts oder in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts arbeiten die Polen heutzutage vor allem auf Baustellen und als Reinigungskräfte. Mit dem Unterschied, dass sie, den Vorschriften entsprechend, Ein-Personen-Firmen gegründet haben. Jeder zehnte Pole in Berlin ist also Unternehmer und hat eine eigene Firma.

„Die Polen sind zwar solide, kreativ, mutig und flexibel”, sagte Dorota Kot, „jedoch wollen sie keine Strukturen aufbauen und haben keine Visionen. Die Ein-Personen-Firma ist für sie lediglich eine neue Form des Geldverdienens. Sie investieren nicht, stellen niemanden ein, nicht einmal die eigene Familie. Zahlenmäßig sind wir gut sichtbar, aber in Hinsicht auf die Qualität fallen wir schwach aus”.

Bereiche des Erfolgs

Die Autorin der Arbeit hat festgestellt, dass bis zum Beitritt Polens in die Europäische Union bei den polnischen Unternehmern das Baugewerbe, Reinigungsarbeiten und der Einzelhandel dominiert haben. Und so ist es auch weiterhin, nur ist ein Arbeitsbereich hinzugekommen – die Pflege. Veränderungen seien zu beobachten, jedoch nur sehr zaghaft. Erst in den letzten fünf Jahren haben die Berliner Polen begonnen, auf Vielfältigkeit zu setzen, darunter IT, Design und Gastronomie. Diese Branchen stecken zwar noch in den Kindeschuhen, sie dürften sich aber gut entwickeln, insbesondere die Gastronomie, bei der schon kleine Erfolge zu verzeichnen sind.

Im Panorama der ethnischen Gastronomielokale, herausgegeben durch das Berliner Magazin „Tip Berlin”, findet sich also der polnische Street Food Tak Tak Polish Deli, der seit zwei Jahren im Bezirk Mitte tätig ist und Pieroggen, Żurek, Bigos etc. anbietet. In einer speziellen Beilage zum Thema Gastronomie ist die polnische Bar Bona Kollektiv genannt, die sich in der stark frequentierten Hermannstraße in Neukölln befindet und als eines der besten fünf neuen Frühstückslokale erwähnt wurde.

Infrastruktur für die Diaspora

Dorota Kot sagt, dass der Statistik nach die Anzahl polnischer Firmen der Kreativwirtschaft in Berlin zunimmt. Es handelt sich dabei jedoch oft um nur andere Formen von direkt beim Finanzamt gemeldeten Ein-Personen-Firmen, damit legal Geld verdient werden kann. Kreativ in diesem Sinne sind hier demnach nicht nur die polnischen Künstler, Inhaber von Galerien, Musiker, Programmierer und Schriftsteller, sondern auch Trainer, Kulturmanager und Übersetzer.

Auch eine neue Branche ist unter den Polen entstanden: „Infrastruktur für die Diaspora”. Woher sie stammt? Als Polen der Europäischen Union beigetreten ist, haben die Immigranten der älteren Generation bald begriffen, dass dies zu einem Zustrom von „Neuen” führen wird, die weder die Sprache noch die Berliner Bürokratie kennen und Hilfe benötigen werden. So tauchten „Erlediger” auf, es entstanden Büros, die den Ein-Mann-Firmen eine Rundum-Betreuung anbieten.

Die „Erlediger” machen sich das große Problem der polnischen Unternehmer in Berlin zunutze: mangelnde Information. Deswegen werden sie insbesondere bei Neuankömmlingen fündig. Diese gehen gern darauf ein, weil ihnen in der Regel eine Ein-Personen-Firma ausreicht. Sie sind weder an der Entwicklung der Firma interessiert, noch daran, dass Angebot zu erweitern, zu investieren, Schulungen oder die Möglichkeit der finanziellen Unterstützung zu nutzen.

Was besser werden kann

Dorota Kot schloss ihre Präsentation mit Ratschlägen für potentielle Unternehmer, Arbeitgeber, polnische und deutsche Behörden und schließlich für Organisationen der Auslandspolen. Den Neuankömmlingen rät sie, nicht gleich eine eigene Firma zu gründen, denn oft sei eine Anstellung bei bereits bestehenden Firmen einträglicher, wo sie als hoch qualifizierte Arbeitskräfte Arbeit finden können. Deswegen sei es sinnvoll, die Leute darüber zu informieren, dass es so etwas wie Karriereberater gibt, die den arbeitssuchenden Personen bei der Planung ihrer beruflichen Entwicklung helfen. Zu Beginn lohnt es sich, erst einmal deren Dienste in Anspruch zu nehmen.

Den Berliner Behörden und seiner Bezirken rät Dorota Kot, mit Sprachkursen verbundene Schulungen für potentielle Unternehmer anzubieten. Und den auslandspolnischen Organisationen – dass sie zusammenarbeiten, anstatt einen Konkurrenzkampf um Zuschüsse und Klienten zu führen und vor allem – eine breit angelegte Lobbyarbeit für die polnischen Arbeiter und Unternehmer zu planen.

Denn oft sind es gerade auslandspolnische Organisationen, die denen zu Hilfe kommen, die es in Berlin nicht geschafft haben. Witold Kamiński, Chef der ältesten dieser Organisationen, des Polnischen Sozialrats, rät deshalb, man solle darum kämpfen, Neuankömmlingen ein Paket zu gewähren, das ihnen den Start vereinfacht. So ein Paket sollte – so Kamiński – die Mietkosten für ein halbes Jahr, Verpflegung, Sprachunterricht sowie Schulungen für die Gründung eines eigenen Unternehmens beinhalten.

Selbstverständlich hält derzeit niemand solch ein Angebot für durchsetzbar, aber wie wird es in der Zukunft? Was heute unmöglich, ja fast lächerlich erscheint, könnte in fünf Jahren schon Standard sein.

Ein Rat der türkischen Gemeinde

Wie ich anfangs schrieb, hat Dorota Kot die Ergebnisse ihrer Untersuchungen im Sitz des Polnischen Soziarates präsentiert. Wie beurteilt sie das Treffen?

„Ich war positiv überrascht, wie zahlreich die Besucher waren und wie unterschiedliche Bereichen sie vertraten”, sagte sie. „Da waren Menschen aus der alten und der neuen polnischen Gemeinde, Mitarbeiter von Berliner Arbeitsämtern, Vertreter von Branchenorganisationen, am Thema Interessierte, Experten, mit denen ich Interviews durchgeführt habe, darunter zum Beispiel Vertreter der türkischen Gemeinde. An ihnen kann man sich, was den Unternehmergeist von Migranten betrifft, ein Beispiel nehmen. Ich muss sagen, dass gerade sie es waren, die mir die Augen am weitesten geöffnet und mir den Kern der Probleme aufgezeigt haben, mit denen Polen zu kämpfen haben, die in Berlin ein Gewerbe betreiben wollen”.

* * *

(Uns polnischen Berlinern, das füge ich hinzu, hat gerade Dorota Kot die Augen geöffnet).

Ewa Maria SLASKA

Journalistin, Schriftstellerin, Bloggerin, wohnt in Berlin, Vorsitzende des Vereins Städtepartner Stettin e.V

Aus dem Polnischen von Alexander Kühl

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